Bayerische GEMA-Ehrenamts-Flatrate eine Flop-Rate?

(aus NMZ-Neue Musikzeitung, Ausgabe 02/2024; Bayerische GEMA-Ehrenamts-Flatrate)

(Hinweis: In der NMZ/Neue Musikzeitung Ausgabe Februar 2024 wurde der Einklinker mit den vom Bayerischen Sozialministerium per 20.12.2023 genannten finalen GEMA-Zahlen vergessen. Diese Zahlen sind im nachfolgenden Artikel jetzt eingearbeitet.)

Bayerische GEMA-Ehrenamts-Flatrate eine Flop-Rate?

Nur gut zehn Prozent in Anspruch genommen / Über 1 Mio € Steuergelder unverzinst / GEMA verlangt 235.000 € für „technische Implementierung“

Für 47.000 eintrittsfreie (Fest-)Veranstaltungen von gemeinnützigen bayerischen Vereinen hat das Land Bayern 2023 insgesamt 1,75 Mio. € an die GEMA bezahlt. Plus einmalig 235.000 € für die „technische Implementierung“, so das Bayerische Sozialministerium (StMAS) schriftlich. 2024 sollen 2,407 Mio. € für bis zu 120.000 Veranstaltungen fließen, so die Freien Wähler, die sich das als ihren Erfolg ans Revers heften. Die Realität sieht anders aus. Bis zum 20. Dezember 2023 wurde das Angebot nur für  4.876 Veranstaltungen mit „rund 280.000 €“  in Anspruch genommen.

Die GEMA ist für die Autorinnen und Autoren überlebensnotwendig. Gäbe es sie nicht schon, die Kreativen müssten Sie unbedingt erfinden – vielleicht mit anderer Bürokratie. Dass die GEMA möglichst viel an Einnahmen generieren will sei ihr unbenommen. Wenn es um Steuermittel geht, sollte die Frage der Moral jedoch mit im Boot sein – auch wenn der Impuls von der Politik ausging. “Riesenerfolg für die Freien Wähler Landtagsfraktion“, posaunte die damalige Ehrenamtsbeauftragte der Staatsregierung Eva Gottstein, MdL a.D. Die heutige Kultusministerin Anna Stolz verstieg sich im Frühjahr 2023 gar im Vergleich, dass durch diesen GEMA-Vertrag Vereinsfeste wegen musikalischer Begleitung „nicht zu einem finanziell schwarzen Loch“ für die Vereinskasse werden und die Freien Wähler „somit das Überleben gerade kleiner Vereine“ sichern. Bei maximal zwei GEMA-Rechnungen à 37,23 € Durchschnittswert pro Veranstaltung im Pauschalvertrag, bleibt das wohl ein Geheimnis politischer Überhöhung.

Bürokratieverlagerung auf die Musiknutzer

Wo liegt die Ursache für diesen Flop? Die Recherche unter den großen Vereinsverbänden offenbart, dass weniger der überschaubare Geldbetrag pro Veranstaltung von Relevanz war. Viele kommen mit der Bürokratie der GEMA nur schwer zu Recht. Die GEMA kann diese Kritik „nicht nachvollziehen“. Eine Veranstaltungsanmeldung sei „einfach, zuverlässig und binnen weniger Minuten vorzunehmen“. Selbst das StMAS wiederholt diese Floskel fast unisono. Auch außerbayerische Verbände kritisieren seit Jahren, dass die GEMA ihre Verwaltungskosten und -aufgaben auf die Schultern der Verbände und Veranstalter umgewälzt habe. Was geschickt als „bürokratisch einfach“ verkauft würde, sei im Grunde ein Mehraufwand für jeden Musiknutzer vor Ort. Wer früher bei Livemusik einen Musikfolgeliste von einer Gruppe bekam, hat diese per Post an die GEMA geschickt. Briefmarke drauf, Vorgang erledigt! Heute müsse jeder Titel z.B. von Vereinsmitarbeitern händisch in das Onlineportal eingetippt werden. Die GEMA spart sich Personalkosten. Im GEMA-Videotutorial zur Setlist klingt das einfach und es erscheint bei der Titelsuche nur ein Treffer. In der unübersichtlichen Realität gibt es von vielen Titeln eine Menge Bearbeitungen und die Vereinsveranstalter kommen nicht zu Recht, wie sie schildern.

Ein Bürokratieabbau ist hier erst dann so zu nennen, wenn es die GEMA endlich schafft eine App anzubieten, die Programm eigenständig erkennt und dies als Setlist übermittelt. So etwas hat die GEMA seit Jahren beim Radio- und Diskothekenmonitoring im Einsatz. Hier hat die GEMA eine Bringschuld. Dann steigt auch die Akzeptanz und die Bürokratiekritik hat ein Ende.

Flatrate nicht für bestehende Verbandsverträge

Die GEMA kommunizierte von Anfang an: „Die bestehenden Gesamtverträge von Verbänden und Vereinigungen haben Vorrang.“ Andreas Horber berichtet als Geschäftsführer des Bayerischen Blasmusikverbandes davon, dass die GEMA keine Ausnahme gemacht und alle gemeldeten Veranstaltungen über den bestehenden Rahmenvertrag abgerechnet habe. Man denke daher über eine Änderung des Verbandsvertrages nach. Auch der BLSV berichtet, dass eigentlich über den DOSB-Rahmenvertrag das meiste schon abgegolten sei. Zudem sei eine Limitierung auf 300 qm Festfläche unrealistisch, weil „die Freiflächen vor den Sportheimen oftmals größer“ seien. Der Volksmusikabteilung des Bayerischen Landesverbandes für Heimatpflege ist „bisher niemand bekannt, der diesen Vertrag in Anspruch genommen hätte“. Wir haben noch viele Landesverbände befragt, überall ein Abwinken. Gravierend aber noch die Diskrepanz im Nachwuchsbereich. MdL Tobias Gotthardt schrieb im Februar als jugendpolitischer FW-Sprecher: „Gerade Vereinen und Verbänden der Jugendarbeit kommt das künftig zu Gute“. Wohingegen der Bayerische Jugendring trocken feststellt: „Die GEMA-Ehrenamtsflatrate findet für den BJR und seine Untergliederungen keine Anwendung, da wir kein e.V. sind, sondern eine Körperschaft des öffentlichen Rechts.“ Hätten die Freien Wähler das nicht wissen können?

Gab es im politischen Prozess der Meinungsbildung im Landtag eine Ermittlung tatsächlicher Bedarfszahlen? Die neue FW-Ehrenamtsbeauftragte, MdL Gabi Schmidt dazu wörtlich: „Grundlage für das Volumen des Pauschalvertrages waren Auswertungen der GEMA“. Das lässt den Rückschluss zu, dass es für den Landtagsbeschluss gar keine Zahlenerhebung gab, obwohl ihre Fraktion seit 2012 (Landtagsdrucksache 16/12784) am GEMA-Thema dran ist. Und es sagt aus, dass die GEMA mit eigenen Zahlen vorgegeben hat, wie viel an bayerischen Steuergeldern sie aus dem Pauschalvertrag zieht.

GEMA-Zahlen legen Millionenbedarf fest

Und jetzt ist über eine Million an Steuergeldern nur bei der GEMA herum gelegen. Zu welchen Regularien? Bayerische Kulturvereine dürfen z.B. lt. Haushaltsordnung immer nur so viel Geld von ihrem Ministerium abrufen, wie sie innerhalb von zwei Monaten ausgeben. Zuviel abgerufenes Geld muss mit „drei Prozentpunkten über dem Basiszinssatz“ bei Rückzahlung verzinst werden. Umso mehr sollte in eine aktuelle Bewertung mit einfließen, dass diese Millionensumme auch gem. schriftlicher Stellungnahme des StMAS auf Daten der GEMA beruht: „Die Kalkulation der Veranstaltungszahl basiert auf Auswertungen von Vereinen bei der GEMA“. Die als so akribisch bekannte GEMA verrechnet sich um rund 90 Prozent? Das StMAS ergänzt zur Fehlersuche: „Nach den bisherigen Auswertungen waren die bereits bestehenden Pauschalverträge nicht entscheidend“ für die große Nichtnutzung der bayerischen GEMA-Ehrenamtsflatrate.

Und für die Rückzahlung des Millionenbetrages, der größtenteils nicht verbraucht wurde, werden keine Zinsen verlangt? Viele Kulturschaffende mit verzinster Coronamittelrückforderung werden jetzt den Kopf schütteln. Laut Sozialministerium unterliege der ausgehandelte Vertrag nicht der Bayerischen Haushaltsordnung und demzufolge kämen auch die sonst bei Kulturförderung üblichen Allgemeinen Nebenbestimmungen nicht zur Anwendung.

Wer auch immer solche Verträge verhandelt, formal mag das richtig sein. Aber ist im Umgang mit öffentlichen Mitteln die Frage nach der Moral nicht auch Gebot? Gerade angesichts der knappen Kulturfördermittel. Nur mal so zur Erinnerung: laut GEMA-Geschäftsbericht 2021 betrug z.B. das Gehalt für den Vorstandsvorsitzenden 800.000 €. Da könnte jetzt vielleicht auch Bayerns fleißiger Ministerpräsident Söder ins Grübeln kommen, wenn man bei der GEMA ein Mehrfaches seines Jahressalärs verdient. Vielleicht wäre dieser Vertrag dann so nicht über seinen Kabinettstisch gewandert.

Öffentliche Mittel unterliegen bekanntlich ganz besonderen Vergaberichtlinien für die Kulturaktiven in Bayern. Das StMAS schreibt auf unsere Frage zur Zahlung an die GEMA: „Für die technische Implementierung wurde eine einmalige Zahlung von 235.000 € brutto vereinbart.“

Als wir auf der GEMA-Website den Weg der Online-Anmeldung wie beschrieben vornehmen, ist aber nichts anders, als beim üblichen Anmeldeverfahren für z.B. Vereinsfeste bis zur finalen Anmeldung. Lediglich eine statische Website mit Checkboxen (Vereinssitz, Gemeinnützigkeit etc) wird vor Abschluss der Veranstaltungsanmeldung noch angekündigt. Wir bitten die GEMA um Erläuterung, wo genau und was genau im Onlineportal zusätzlich sei, das technische Implementierungskosten im sechsstelligen Bereich rechtfertigen würde? Die GEMA antwortet auf diese Nachfrage nicht mehr, hat aber vorher schon kommuniziert, dass auch Werbemaßnahmen aus Steuergeldern finanziert würden.

Werbegelder statt politischer Frohbotschaft

Werbung für eine Frohbotschaft, für die jeder örtliche Landtagsabgeordnete dankbar sein sollte, weil er eh mit einer Vielzahl von Vereinen in seinem Stimmkreis regelmäßig Kontakt hat oder gar persönlich bei Vereinsfesten zugegen ist. Die Botschaft der GEMA-Ehrenamtsflatrate müsste ein politischer Selbstläufer sein! Warum dann dafür zusätzliche Steuergelder an die GEMA für Agenturwerbung bezahlen?

Auf Nachfrage zu den 235.000 € spezifiziert das Sozialministerium: „Der Betrag beinhaltet Kosten für die technische Implementierung des Pauschalvertrags im Onlineportal der GEMA, die Erstellung und Pflege der Informationsseite, Anpassungen an beidem, die Abwicklung der Anmeldungen, Marketingmaßnahmen zur Bewerbung des Pauschalvertrages, um ihn bei den bayerischen Vereinen bekannt zu machen.“ Gravierend teure Änderungen im Anmeldevorgang sind (bis jetzt) nicht sichtbar bzw. werden von der GEMA nicht dargelegt, Änderungen an statischen Websites verursachen erfahrungsgemäß marginale Kosten. Und „die Abwicklung der Anmeldungen“ gehört zum ureigensten Geschäft der GEMA, das sie auch ohne einen bayerischen Pauschalvertrag hätte leisten müssen. Warum bezahlt Bayern das extra?

Bayerische Kulturvereine müssen bei Kulturförderung ansonsten jede Briefmarkenausgabe belegen und begründen. Die GEMA nicht! Das Sozialministerium schreibt: „Aufgrund der Gestaltung als Festbetrag erstellt die GEMA keine Abrechnung zu einzelnen Positionen.“ Man könnte zur Frage geneigt sein, ob hier Kreisklasse mit Bundesligaprofis verhandelt hat? Oder ging es weniger um den tatsächlichen Nutzen als um die Medienschlagzeile?

Bernd Schweinar